– An Hommage to Takemitsu (2017)
Das 20-minütige Stück „Without Love make Heimat“ wurde im Juni 2017 im Rahmen des Edition Heroines of Sound Festivals in der Kantine des Berghain uraufgeführt. Es ist dem japanischen Komponisten Toru Takemitsu gewidmet , Pionier elektronischer und experimenteller Musik seit den 50er Jahren. Insbesondere ein Stück Takemitsus – „Vocalism A.I.“ (1956) diente Manami als Referenz und Inspirationsquelle. Hier hat Takemitsu die Stimmen von zwei Schauspielern, einem Mann und einer Frau, auf Tonband aufgenommen und elektronisch bearbeitet. Das Stück gilt als eines der ersten experimentellen elektronischen Kompositionen eines asiatischen Musikers und wird als Meilenstein der „music concréte“ betrachtet. Der Dichter Shuntaro Tanikawa hatte Takemitsu auf die Bitte einen Text zu liefern, lediglich das wort „Ai“ geschickt, das im japanischen „Liebe“ bedeutet. Die Schauspieler haben 72 Stunden akustisches Rohmaterial geliefert, in immer neuen Variationen der beiden Vokale A und I bis Takemitsu daraus ein Destillat von knapp 4 Minuten erstellt hat.
Manami nimmt diese Komposition auf und dekonstruiert sie auf ihre eigene Art und Weise. „Vocalism A.I.“ bildet das Gravitationszentrum ihres Stückes, um das sie herum eine klangliche Annäherung an den komplizierten und komplexen Begriff „Heimat“ versucht hat zu erstellen. Was ist für sie heute „Heimat“? Vor über 11 Jahren aus Japan nach Deutschland gekommen und zwischen den Kulturen und Sprachen lebend, versucht sie ihre Identität als asiatische Komponistin in Deutschland zu finden. Takemitsu war wie sie Autodidakt und ist ihr immer eine wichtige Inspirationsquelle gewesen, auch in anderen Genres und Zusammenhängen. Ein essentieller Bestandteil des Stückes – und damit auch der Live-Aufführung – sind zwei Tonbandgeräte aus den 70er Jahren, aus der Zeit ihrer Kindheit, einer analogen und haptischen Zeit. Das eine Tonbandgeräte hat sie von einem befreundeten Maler erhalten, der es seinerseits in Österreich geschenkt bekommen hat, um es zum Gegenstand eines Gemäldes werden zu lassen. Das andere hat sie über eBay erworben und die mitgelieferten Bänder waren gewissermaßen „found footage frei Haus“. Die beiden Maschinen haben also ihre eigene Geschichte, ihre eigene Biographie mit in das Stück eingebracht. Auf den Bändern befanden sich Tonaufnahmen einer Radiosendung, die im Raum Köln aufgenommen worden sein muss. Zwei Komiker unterhalten sich über Afrika und machen – aus heutiger Sicht – durchaus rassistische Späße über die Exotik des fernen Kongo. Ein weiteres Lied – ein Schlager – und das ist tatsächlich ein schwer zu fassender Zufall gewesen, ein geradezu Cage’scher Moment der besonderen Art – handelt von Heimat, deutscher Heimat, der Stadt Köln, Colonia.
Ihre eigene Heimatrecherche hat Manami zurück nach Tokio geführt, wo sie in der Stadt Klänge eingesammelt, hat unter anderen den offiziellen Raketenalarm, der erklingt , wenn wieder einmal eine Rakete aus Nordkorea über das Land donnert. Aber auch in ihre Geburtsstadt Niigata, wo sie mit ihrer Mutter über den Tod der Hunde ihrer Kindheit spricht. Ein Volkslied aus Niigata wird mit einem Stück kombiniert, das ein kleines Mädchen aus Syrien singt, das Manami in einem Potsdamer Flüchtlingsheim kennengelernt hat. Es erklingen Glockenschläge aus dem Garten des Künstlers Okamoto Taro, den Manami seit ihrer Kindheit verehrt hat. Im Sommer war sie extra nach Tokio gereist, um im Garten seines Ateliers Tonaufnahmen zu machen. Heimat bietet aber nicht nur die Gemeinschaft der Familie und die Künstler, die sie inspiriert haben, Religion als eine Form der spirituellen Heimat spielt ebenfalls ein wichtige Rolle. Der im Exil lebende Dichter Heinrich Heine sprach einst über Religion als „portatives Vaterland“. Der Sutra Gesang aus dem Tempel von Eiheiji stellt eine Verbindung her zu ihrer Familiengeschichte, ihr Großvater war Buddhistischer Mönch und stand einem kleinen Tempel vor.
AI – die Liebe – und Heimat diese zwei Begriffe – in zwei Sprachen – verschmelzen in einem Gleichklang, in dem sie schwer auseinanderzuhalten sind. Begrifflich zu komplex als dass es darauf eine rationale und einfache Antwort geben könnte, klingen in der Komposition immer wieder Fragmente von unterschiedlichen Elementen an, die ein Gefühl von Heimat und Identität versprechen, oder aber auch von deren drohendem Verlust erzählen. Die Tonbandmaschinen sind Relikte aus einer anderen Epoche, sie tragen die Erinnerungen materiell in sich, fremde Erinnerungen zwar, die aber von der eigenen Identität sprechen. Lieder, Stimmen, Geräusche kommen zusammen und werden in der Performance auch noch von live produzierten Taiko-Trommelklängen begleitet. Die Echos aus der Vergangenheit, die etwas wehmütigen Stimmen aus einer anderen Ära, treffen auf den Klang der Gegenwart. Manami komponiert am ihre Stücke auf dem Computer mit Software, wie sie heute Standard für elektronische Kompositionen ist, doch für dieses Stück, das ihrem großen Vorbild Takemitsu gewidmet ist, war es ihr wichtig, einen Sound zu erzeugen, der von seiner eigenen Zeitlichkeit erzählt, einen Klang, der verschiedene Zeiten zusammenführt, verschiedene Lebensspuren und Identitäten, einen Klang, der narrativ und emotional zugleich ist.